Einen Weg aus der Trauer finden

– Verlust –

Als ihr Mann stirbt, reißt das Marie-Luise Buchholz den Boden unter den Füßen weg. „Das war ein Schock“, erzählt die 75-Jährige. „Ich habe mich einfach nur verloren gefühlt.“ Mit ihrem Mann war sie über 50 Jahre verheiratet. Doch den Weg durch ihren Schmerz muss sie zunächst alleine gehen – bis sie im Trauercafé des Zentrums Würde am Marienstift Weggefährten findet.

In den vielen Ehejahren hatten sie es gut. Ihr Mann sei immer gesund gewesen. „Ich dachte, es geht für uns immer so unbeschwert weiter“, erzählt Buchholz. Doch dann erkrankt ihr Horst. „Es war ein Jahr zwischen Hoffen und Bangen“, sagt sie. Als eine Reha genehmigt wird, stimmt das die Familie zunächst optimistisch. Doch dann schafft er es doch nicht.

„Plötzlich war ich alleine“, erzählt sie. „Das war ein Gefühl, dass ich so ja gar nicht kannte.“ Die Trauer über den Verlust ist groß. Zu groß, um mit ihr alleine zu sein. Am Anfang teilt sie ihren Kummer mit ihrer Familie und ihrem Freundeskreis. „Doch man will auch niemandem auf die Nerven fallen. Es gibt ja Angenehmeres, als ständig eine Trauernde am Telefon zu trösten.“ Hinzu sei gekommen, dass die meisten ihrer Freunde Ehepaare sind. So verbringt die Rentnerin viel Zeit zu Hause, alleine mit sich und ihren Gedanken. Zeit, die sich dehnt, Gedanken, die kreisen. Es gibt wenig, worauf sie sich freuen kann. So richtet sich ihr Blick immer wieder auf das Vergangene, auf das Verlorene, statt in die Zukunft.

"Den Glauben stülpen wir hier niemandem über. Jeder hat seinen eigenen Weg, mit der Trauer umzugehen."


Heike Heckmann | Leitung Diakonischer Dienst und Zentrum Würde

Kleine Gesten mit großer Wirkung

Schon rund einen Monat nach dem Tod meldet ihre Tochter sie beim Trauercafé vom Zentrum Würde am Marienstift an. Es wirkt vielleicht wie ein kleiner Schritt. Doch mit diesem kleinen Schritt wird auch der weiteste Weg ein Stück kürzer. „Ich habe mich von Anfang an willkommen gefühlt“, erinnert sie sich an ihren ersten Besuch vor rund einem Jahr. Es gibt einen schön gedeckten Tisch. Das Team um Heike Heckmann, Leitung des Diakonischen Dienstes und Zentrum Würde, füllt die Tassen mit Kaffee und Tee, verteilt Gebäck und sorgt für eine angenehme Atmosphäre – so ganz anders als das verhuschte Frühstück nebenbei zu Hause im Stehen.

Neben den Gesprächen über die persönlichen Erfahrungen und Sorgen steht auch immer ein besonderes Thema im Vordergrund der monatlichen Treffen. Bei Buchholz‘ erstem Besuch wurden passenderweise kleine Fußabdrücke aus Pappe verteilt. Ein Symbol dafür, Schritt für Schritt zurück ins Leben zu finden. „Den habe ich seither immer in meinem Geldbeutel und wenn ich ihn sehe, schöpfe ich neue Kraft“, sagt die Seniorin. Ein anderes Mal lagen Steine zum Mitnehmen aus. Wege können schließlich steinig sein.

Es sind kleine Gesten, die viel bewirken können. Immer wieder werden auch passende Textzeilen oder Bibelverse verteilt. Der christliche Hintergrund hilft Buchholz sehr. Heike Heckmann betont aber: „Den Glauben stülpen wir hier niemandem über. Jeder hat seinen eigenen Weg, mit der Trauer umzugehen.“

Struktur und Gemeinschaft

Neben den Anregungen während der Treffen schafft der regelmäßige Termin des Trauercafés außerdem eine Struktur. „In Zeiten, in denen sonst nichts war, war das Café wie ein Anker“, berichtet Marie-Luise Buchholz. Auf der langen Strecke wirkt das Trauercafé so wie ein wiederkehrender Wegpunkt.

Das Wichtigste ist aber wohl die Gemeinschaft. Die Menschen sind nicht alleine mit ihrer Trauer, von anderen umgeben, die Ähnliches durchmachen. Jede Trauer und jeder Verlust ist individuell, aber das Verständnis füreinander ist da. „Wenn ich jemanden anrufe und sage, dass ich wieder eine schlechte Phase habe, weiß die Person, was ich meine“, erzählt Buchholz. Hier sei niemand genervt, wenn es nach einigen guten Tagen auch mal wieder ein Stück bergab geht. Die meisten kennen das aus der eigenen Erfahrung.

Dieses gegenseitige Verständnis kann zu neuen Freundschaften führen. Marie-Luise Buchholz war sogar mit einer anderen Teilnehmerin des Cafés im Stadion. Sie sagt: „Zuerst haben wir miteinander geweint und uns später miteinander über den Sieg gefreut. Das hätte ich am Anfang nicht erwartet.“

Neben den Freundschaften und dem Trauercafé ist Buchholz mittlerweile auch im Seniorenradio tätig. So hat sie sich – auch wenn die Trauer immer noch da ist – eine Struktur geschaffen und zurück ins Leben gefunden. Heike Heckmann betont: „Manche brauchen im Trauerprozess länger, andere kürzer. Wichtig ist uns, dass die Menschen wissen: Wir sind da. Ganz ohne Erwartung und ohne Druck.“ Marie-Luise Buchholz überlegt, ab Sommer nicht mehr ins Trauercafé zu kommen. Vielleicht ist sie nun so weit. Doch sie weiß: Falls sie auf ihrem Weg weitere Begleitung braucht, ist sie im Zentrum Würde jederzeit willkommen.

Mehr über das Zentrum Würde

Text: Lukas Dörfler // Fotos: Bernhard Janitschke

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